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Remo Helfenstein: „Lassen Sie sich einfach mal fallen und hören Sie zu.“

Die beiden Luzerner Remo Helfenstein und Patrick Müller haben aus 40 Sprachnachrichten diverser KünstlerInnen, wie zum Beispiel Thom Luz, Evelinn Trouble oder Anja Meyer, eine Hörcollage geschaffen, die sich mit dem Verstehen, dem Alleinsein und der Liebe zu einem Song auseinandersetzt…

QUANDO SEI SOLO CI SONO MILIONI CON TE ist ein Audiowalk über das Reden und das Verstehen, über menschliche Limitationen und die Sensation des Tief-Berührt-Seins. Remo Helfenstein und Patrick Müller haben Menschen in ihrem Umfeld gebeten, Lieder auszuwählen und sie zu singen, darüber zu sprechen und ihnen die Aufnahmen als Sprachnachricht zu schicken. Remo Helfenstein hat diese Nachrichten bearbeitet und seine eigene Musik und sein Sounddesign eingebettet. Daraus ist eine Hörcollage entstanden, die man sich spazierend anhört.

Interview mit Remo Helfenstein über die Arbeit an diesem Audiowalk und seine Begeisterung für die Theaterwelt.

Der Audiowalk ist seit ein paar Tagen auf der Website des ROXY Birsfelden abrufbar. Haben Sie schon erste Reaktionen von ZuhörerInnen erhalten?

Wir haben erstaunlich viele Rückmeldungen erhalten, die uns von einem Abtauchen in die Intimität der verschiedenen Stimmfarben und dem Gefühl, sich direkt angesprochen zu fühlen, berichten. In Kombination mit dem Hinausgehen kommt der Audiowalk dem Theaterbesuch sehr nahe, denn man entscheidet sich bewusst für eine Strecke, ein kulturelles Erlebnis. 

Anscheinend funktioniert unser Projekt auch gut generationsübergreifend. Wir haben bereits Reaktionen von Menschen zwischen 18 und 70+ erhalten. So manche Rückmeldungen haben uns jedoch auch gezeigt, dass dieses Heraustreten und das Finden von Inspiration vielen Menschen anscheinend völlig abhanden gekommen ist. 

Das Schöne am Theater ist, dass man da auch einmal kontemplativ zuschauen kann. Unser Audiowalk lädt ebenfalls dazu ein, in eine Welt zu fallen, in der man einfach nur einmal ZuhörerIn sein kann. 

Haben Sie selbst den Audiowalk auf unterschiedlichen Strecken und Wegen ausprobiert?

Ausprobiert haben wir vor allem Tempi. Wir haben es aber bewusst so angelegt, dass keine Vorgaben zur Strecke notwendig sind. Denn ganz egal, welchen Ort man sich aussucht, es entsteht eine Art Assemblage zwischen den Geräuschen der Außenwelt und dem, was sich in den Kopfhörern abspielt. Ich habe das in verschiedenen Settings probiert; im verschneiten Wald oder im Stadtverkehr. 

Was dann auch den Titel erklärt:
«Quando sei solo ci sono milioni con te».
Wie kamen Sie auf die Idee für den Audiowalk?

Das war wirklich eine intrinsische Motivation. Patrick und ich stehen im konstanten Austausch und uns beiden fehlt dieser direkte Kontakt sehr. Also haben wir beide nach einer Form gesucht, die pandemie-konform Kunst und Kultur wieder zugänglich macht. Wir wollten den Leuten etwas in einer Zeit anzubieten, in der soziale Normen neu verhandelt werden. Die Umsetzung ging dann schnell vonstatten und hat insgesamt zwei Monate in Anspruch genommen.

Viele der teilnehmenden KünstlerInnen sind Tanz-und Theaterschaffende und versuchen stets die Grenzen der Bühne zu übertreten. Das trifft auch auf Ihre musikalische Arbeit zu. Wie kam es zu dieser TeilnehmerInnen-Liste?

Wir haben bei vielen Personen angefragt. Ich denke, dass die Schwelle für BühnenkünstlerInnen nicht so hoch war als wie für MusikerInnen. So einfach ganz nackt in ein Handymikrofon zu singen ist für Musikschaffende eine ziemlich große Hürde. Wenn sie mit ihrer Stimme arbeiten, betten sie diese immer in einen Kontext ein; sie produzieren ihre Stimme so, wie sie ihnen gefällt. Viele haben in ihren Sprachnachrichten von der Scham zu singen erzählt, aber genau das ergab sehr spannende Momente. Ich hatte fast ein bisschen Lust darauf, dass sich die TeilnehmerInnen mit dieser Schwelle auseinandersetzen, denn jeder von uns kennt das: Seine eigene Stimme zu hören ist sehr intim. 

Patrick und ich haben unser Netzwerk, das wir uns über die Jahre aufgebaut haben, sozusagen angezapft. Die Personen, die wir kontaktiert haben, sind tatsächlich Menschen, bei denen wir uns künstlerisch zuhause fühlen. 

Ging es für Sie darum, ein neues Werk aus diesen Sprachnachrichten zu schaffen oder wollten Sie den TeilnehmerInnen Platz zum Ausdruck geben?

Das Ziel war von Anfang an ein Musikstück zu kreieren und kein Hörbuch. Darum haben wir auch bei den TeilnehmerInnen um eine Carte Blanche gebeten. Nach Erhaltung der Audiofiles habe ich mich daran gemacht, diese auseinanderzunehmen und mir zu überlegen, wie ich sie am besten zusammenführen könnte. Also: „Wo gibt es einen Bogen?“, „Was korrespondiert miteinander?“, „Welche Tonlagen kann ich verwenden, um musikalisch darüber zu arbeiten?“…  

Also ich habe wirklich versucht diese Sprachnachrichten mit einer musikalischen Herangehensweise zu betrachten. Der Rest war Fleißarbeit. Wir hatten 40 Sprachnachrichten, die zurechtgeschnitten werden mussten. Allerdings war es mir wichtig, Platz für Fehlerhaftes zu lassen. Dass man hört, wie ein Telefon herunterfällt oder das man die Atemgeräusche wahrnimmt. Wenn man das zulässt, gestalten sich diese flüchtigen Momente zu einem Intimitäts-Trigger.  

Audioformate scheinen aktuell sehr populär zu sein. Was interessiert Sie an diesem Medium?

Ich finde das Medium einfach sehr spannend. Diese Live-Momente, zum Beispiel der Geruch eines Theatersaals oder das Fühlen eines Theaterstuhls, spielen während einer Vorstellung immer mit. Da finde ich, dass das Hörformat dem Lesen eines Buches sehr nahe kommt. Man lädt die HörerInnen dazu ein, eigene Bilder zu kreieren. Audioformate übersetzen meiner Meinung nach diese Live-Momente noch besser als das Video. 

Zumal wir immer mehr das Zuhören verlernen…

Das war tatsächlich eine knifflige Frage, die wir uns während der Zusammensetzung stellten. Wir mussten aufpassen das Werk nicht zu überladen und den richtigen Mix finden. Das heißt, wir mussten ein Gleichgewicht zwischen einer freien Musikalität und der Konzentration des Hörers / der Hörerin finden. Es war uns wichtig, den ZuhörerInnen ein richtiges Eintauchen in die Sprachnachrichten zu ermöglichen.

Sie scheinen sehr theateraffin zu sein. Wie kamen es dazu?

Ich habe das Theater erst spät über meine Arbeit kennengelernt. Ich habe lange Zeit in einem Kulturhaus gearbeitet und war da für die Musikprogrammation verantwortlich. In diesem Drei-Sparten-Haus habe ich einen tollen Zugang zu der Welt des Theaters bekommen. Seitdem ich diese Schwelle übertreten habe, bin ich davon sehr fasziniert. 

Brachte Sie also das Theater zum Sounddesign oder geschah dies über die Musik?

Die Musik hat mich zum Sounddesign geführt. Vor zwei Jahren habe ich an einer größeren Produktion teilnehmen dürfen und fand die Auseinandersetzung mit einer künstlerischen Vision unglaublich interessant. Das heißt, wie kann Sprache in etwas musikalisches gemorpht werden und ist das, was du siehst, dass, was ich höre? Solche Lernprozesse und Arbeitsweisen finde ich sehr spannend. Am Sounddesign interessiert mich vor allem wie sich etwas anfühlt. 

Hat eine solche Arbeitsweise Ihre eigene Art Musik zu machen beeinflusst?

Ja, es hat komplett meine Art des Musikmachens verändert.
Ich mache schon lange Musik. Mit 18 Jahren habe ich angefangen in Bands zu spielen und da war natürlich die Herangehensweise eine ganz andere. Also, es ging da vor allem darum, die eigenen Grenzen zu sprengen. Das hat sich in den 20 Jahren, in denen ich im Kunst-und Kulturbereich gearbeitet habe, zu einer Ich-gelösteren Reflexion gewandelt. Ich fand mit der Zeit viel mehr Interesse an der Frage, wie sich Kunst mit gesellschaftliche Fragen auseinandersetzt und wie sie darauf reagieren kann. Natürlich hat sich daraufhin mein Schaffen und das, was ich präsentieren wollte, völlig geändert und ist bewusster geworden. Dabei ist zwar die absolute Spontaneität verloren gegangen, aber die ist mir auch gar nicht mehr so wichtig. Es geht mir viel mehr darum zu verstehen, wie etwas funktioniert. 

Seit einigen Monaten entstehen nun schon zahlreiche neue Formate und hybride Projekte. Befürchten Sie deren Verschwinden sobald die kulturellen Einrichtungen wieder öffnen dürfen?

Natürlich müssen wir uns als Kunstschaffende mit der Wirtschaftlichkeit und den ökonomischen Fragen auseinandersetzen. Ich würde es aber sehr begrüßen, wenn die Sparten durchlässiger werden könnten. Eine solche Öffnung würde die Kunst-und Kultur auch wieder näher an einen Bildungsauftrag führen. Ich habe oft Grabenkämpfe zwischen den Sparten erlebt, sei es um Spielplätze oder Residenzzeiten. Im Sinne einer kulturpolitischen Diskussion fände ich es spannend, wenn sich die Häuser ein bisschen durchlässiger präsentieren täten. Es wäre doch schön, wenn wir etwas aus dieser Zeit lernen könnten. 

Audiowalk
„Quando sei solo ci sono milioni con te“

Konzept: Remo Helfenstein & Patrick Müller
Hörcollage & Musik: Remo Helfenstein
Produzent: Patrick Müller
Grafik: Mario Suter
Produktion: Monavale – a basic sensation
Koproduktion: Südpol, B-Sides Festival

Mit Stimmen von:
Max Philip Aschenbrenner, Nina Langensand, Daniel Fontana, Lucie Tuma, Evelinn Trouble, Anja Meser, Martin Schenker, Mathis Pfäffli, Anna Frey, Belia Winnewisser, Phil Hayes, Rea Dubach, Franziska Stäubli, Simon Borer, Stefan Buck und Thom Luz

Foto: Remo Helfenstein

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