Spätestens, seit mit Tim Burton einer der erfolgreichsten Filmemacher Hollywoods »Sweeney Tood« zum Leinwanderfolg verholfen hat, ist Stephen Sondheims düsterer Musical-Thriller von den Spielplänen nicht mehr wegzudenken. Nun tritt der dämonische Barbier aus der Fleet Street auch am Saarländischen Staatstheater seinen Rachefeldzug an – Premiere ist am Samstag, 7. Dezember 2024, bis Juni 2025 folgen weitere Aufführungen.
Nach Jahren der Verbannung kehrt Benjamin Barker alias Sweeney Todd nach London zurück. Er kennt nur ein Ziel: Rache. Auf einen Kunden wartet er in seinem Barbershop ganz besonders sehnsüchtig: Richter Turpin. Denn der hatte ihn vor Jahren unrechtmäßig verurteilt, um freie Bahn bei Sweeneys Frau zu haben. Und so schärft Sweeney sein Rasiermesser und metzelt sich durch die Londoner Society – unterstützt von der
Pastetenbäckerin Mrs. Lovett, die mit Sweeneys Opfern ihr marodes Geschäft ordentlich in Schwung bringt …
Sondheims düsterer Thriller verbindet – nicht ohne Komik – Elemente aus Schauerliteratur, Horrorfilm und auch Oper virtuos. In der Inszenierung von Carlos Wagner schlüpfen Peter Schöne und Stefan Röttig alternierend in die Rolle von Sweeney Todd. Abwechselnd als Mrs. Lovett an ihrer Seite: Carmen Seibel und Clara-Sophie Bertram.
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Kleingehackt, gut gewürzt
Musical-Thriller »Sweeney Todd« lehrt das Gruseln
Glaubt man den Sympathisanten der englischen Küche, ist ein »Pie« (also eine Pastete) ein Gericht, dass man einfach lieben muss: eine goldene Teigkruste, darunter die saftige und gehaltvolle Füllung – köstlich. Bei den Fleischpasteten, die in »Sweeney Todd« serviert werden, möchte man lieber gleich Vegetarier*in werden.
Als Musical fällt Stephen Sondheims faszinierender Broadway-Erfolg von 1979 in jeder Hinsicht aus dem Rahmen. Der Begriff der Farce scheint hier passend – und zwar in doppeltem Wortsinn: Zum einen handelt es sich dem Genre nach um ein gesellschaftskritisches Lustspiel von äußerst schwarzem Humor, zum anderen spielt darin die kleingehackte, würzige Fleischmasse gleichen Namens eine »füllende« Rolle.
Der Stoff geht zurück auf eine Londoner Großstadtlegende aus der Zeit der Industrialisierung um den rasiermesserschwingenden Barbier Sweeney Todd und seine geschäftstüchtige Partnerin, die Bäckerin Mrs. Lovett. Nachdem er seinen Kunden die Kehle durchgeschnitten hat, verarbeitet sie deren Überreste in ihren Fleischpasteten. Dieses ungewöhnliche Verbrecherpärchen taucht literarisch erstmals in einem Fortsetzungsroman von 1846 auf. In einer Adaption des britischen Dramatikers Christopher Bond fand Sondheim die Vorlage für die bis heute berühmteste Version dieser Gruselgeschichte, die durch Tim Burtons Verfilmung mit Johnny Depp zu weiterer Popularität gelangte.
Sondheim interessierte an der Geschichte die Reflektion darüber, wie ein unschuldiger Mensch zum Mörder wird und völlig obsessiv dem Wahn verfällt. So motiviert er die mörderischen Taten seines tragischen Antihelden, indem er ihn als Opfer der Machenschaften einer korrupten Obrigkeit zeigt. Todds persönliche Rache gegen Richter Turpin, der seine Familie zerstörte und ihn aus dem Weg räumen ließ, eskaliert schließlich in einem unaufhaltsamen Blutrausch, als der geplante Mord scheitert. Das wiederum kurbelt das Geschäft der schlechtesten Pastetenbäckerin der Stadt an, deren Kunden nichtsahnend dem Kannibalismus frönen.
Erst kommt das Fressen, dann die Moral, heißt es schon bei Brecht. Von dessen kleinbürgerlichen Verbrecherfiguren, der scharfsinnigen Sozialkritik wie Elementen des epischen Theaters ziehen sich ebenso Einflüsse wie aus dem französischen Grand-Guignol-Schauertheater. Sondheim, der seinen Musical-Thriller auch eine »schwarze Operette« genannt hat, spielt in seiner sinfonisch angelegten und größtenteils durchkomponierten Partitur mit der Nähe zur Oper. Raffiniert durchziehen Leitmotive die gesamte Partitur, während die Dies-irae-Sequenz aus dem Requiem das Thema des Todes präsent hält. Inspiration für den charakteristischen »creepy sound« zog Soundheim auch aus Horrorfilmen. Bei aller Drastik machen der bitterböse Humor und Sondheims genialer Wortwitz das Grauen zu einem köstlichen Theatererlebnis. Und trotzdem bleibt einem das Lachen mitunter im Halse stecken.
Besetzung
Musikalische Leitung Stefan Neubert
Inszenierung Carlos Wagner
Bühnenbild und Kostüme Christoph Ouvrard
Dramaturgie Stephanie Schulze
Choreinstudierung Mauro Barbierato
Sweeney Todd Peter Schöne/ Stefan Röttig
Mrs. Lovett Carmen Seibel/ Clara-Sophie Bertram
Anthony Hope Max Dollinger
Johanna Barker Bettina Maria Bauer/ Liudmila Lokaichuk
Tobias Ragg Lukas Witzel
Richter Turpin Stefan Röttig/ Markus Jaursch
Büttel Bamford Algirdas Drevinskas
Bettlerin Judith Braun
Adolfo Pirelli/ Mr. Fogg Jon Jurgens/ Dustin Drosdziok
Vogelhändler Philipp Schneider
Ensemble Sophia Buhl, Amadea Lässig, Katharina Reimann Mykola Avdieiev, Philipp Schneider, Leon Zimnol
Saarländisches Staatsorchester
Opernchor und Statisterie des Saarländischen Staatstheaters
von Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte) und Hugh Wheeler (Buch) Nach dem gleichnamigen Stück von Christopher Bond │Regie der Originalproduktion am Broadway von Harold Prince │ Orchestrierung von Jonathan Tunick │Deutsche Fassung von Wilfried Steiner und Roman Hinze │Original-Broadwayproduktion von Richard Barr, Charles Woodward, Robert Fryer, Mary Lea Johnson, Martin Richards in Zusammenarbeit mit Dean und Judy Manos‘
In deutscher Sprache mit deutschen und französischen Übertiteln