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Samba, Bossa nova, Forro, Carimbo, Merengue: Dass Brasilien das Land ist, in dem es zu jedem Musikstil auch einen eigenen Tanz gibt, erklärt auch den Erfolg des brasilianischen Balletts.

Choreographien von zwei Frauen und zwei Männern, zwei Brasilianern und zwei Europäern bringt die São Paulo Dance Company am Himmelfahrtswochenende ins Festspielhaus Baden-Baden. Bei den europaweit einzigen Vorstellungen am 18., 19. und 20. Mai ist für Diversity ebenso gesorgt wie für musikalische Abwechslung, auch hier spannt sich der Bogen vom alten Kontinent ins moderne Südamerika, von Johann Sebastian Bach und Igor Strawinsky zu Heitor Villa-Lobos und brasilianischem Folk-Rock.

Moderne brasilianische Rhythmen

Immer stärker setzt die moderne Ballettkompanie aus Brasiliens größter Metropole – zuletzt war sie 2018 mit „Don Quixote“ von Marcia Haydée in Baden-Baden zu Gast – auf Choreographen aus ihrem Heimatland.

Direktorin Inês Bogéa sucht und fördert ständig junge Talente. Cassi Abranches etwa hat seit der Uraufführung ihres kaum vier Jahre Stückes „Agora“ einen rasanten Aufstieg hingelegt, vor zwei Jahren wurde sie zur Direktorin des Balé da Cidade de São Paulo ernannt und damit zur Nachfolgerin des verstorbenen, auch in Deutschland sehr bekannten Ismael Ivo.

Im Jahr 2016 gestaltete Cassi Abranches die Eröffnungszeremonie der Paralympics mit 2.000 Teilnehmern – Tanzprofis und Amateure, Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Nun lernen wir ihr „Agora“ kennen – der Titel benennt den antiken Platz für Versammlungen, bedeutet im Portugiesischen aber auch „jetzt“, was die Künstlerin zu einem Ballett über das Phänomen der Zeit inspirierte. Mit einer Mischung aus sinnlicher Spannung und zeitgenössischer Attacke wird zu modernen brasilianischen Rhythmen getanzt.

Legendärer Feuervogel

Um einen Vogel geht es im zweiten Werk des Abends: Marco Goecke, der Träger des deutschen Tanzpreises 2022 choreographierte seinen „Feuervogel  Pas de deux“ 2010 zum Wiegenlied und dem triumphalen Finale aus Igor Strawinskys farbenreicher Ballettmusik, die einst für die Ballets Russes entstand. In dem Duo umgarnen sich ein Mann und eine Vogelfrau, finden von Fremdheit zu Nähe. Krallen, stilisierte Flügel, selbst das verzauberte Ei aus dem russischen Märchen meint man in Goeckes zeichenhaften Armhaltungen zu erkennen, die eine geheime Verständigung zwischen Mensch und Zauberwesen erahnen lassen.

Johann Sebastian Bach als Inspiration

Joëlle Bouviers „Odisseia“ bricht, bewegt vom Thema der Migration und Flucht, zu einer Begegnung mit dem Selbst auf. Inspiriert vom alten Epos des Homer, erzählt die französische Choreographin in expressiven, tief empfundenen Bewegungen eine moderne Odyssee, wo Wind und Meer die Menschen weit von ihrer Heimat tragen. Neben Teilen aus Bachs Matthäuspassion erklingt Musik des brasilianischen Nationalkomponisten Heitor Villa-Lobos, dessen „Bachianas Brasileiras“ von Bach inspiriert wurden.

Erinnerungen an die Kindheit

Ein anderer Teil der „Bachianas Brasileiras“ liegt auch den „Cartas do Brasil“ von Juliano Nuñes zu Grunde, einem großen Ensemblestück im neoklassischen, virtuosen Stil, in dessen Zentrum eine Reihe ausdrucksvoller Duos stehen. Wie so viele brasilianische Tänzer hat Nuñes sehr jung seine Heimat verlassen, er studierte bei Birgit Keil in Mannheim, tanzte dann u.a. in Karlsruhe und bei Gauthier Dance in Stuttgart. Als Choreograph wurde er zum Nederlands Dans Theater 2, zum Mariinsky-Ballett, zum Juniorballet Zürich oder Les Ballets Jazz de Montreal eingeladen, er schuf diverse Projekte mit bekannten Ballettstars und choreographierte auch für die Netflix-Serie „Tiny Pretty Things“. Derzeit ist Nuñes Hauschoreograph beim Philadelphia Ballet in den USA.

„Cartas do Brasil“ ist sein erstes Werk in seiner Heimat Brasilien, inspiriert haben ihn seine Kindheitserinnerungen an Vögel und Wälder Brasiliens, die man nun in den Bildern der Körper aufblitzen sieht.

Präsentiert werden die vier Werke von den besten modernen Balletttänzern Brasiliens – denn gegründet wurde die São Paulo Dance Company, damit diese bestens ausgebildeten Talente in ihrem Heimatland ein breites Repertoire zwischen Klassik und Avantgarde tanzen können und nicht ins Ausland wechseln müssen, um Arbeit zu finden. Mit einem Filmarchiv, Vorträgen, Publikationen und weitgespannten Education-Programmen baut Direktorin Inês Bogéa eine breite Infrastruktur auf und begeistert ein junges Tanzpublikum für das moderne Ballett ihrer noch relativ jungen Kompanie.


www.festspielhaus.de


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